Die festliche Jahreszeit bringt oft Vorfreude und Harmonie, aber für viele kann der Weihnachtsstress auch überhand nehmen. In unserem aktuellen Blog-Interview hatten wir die Gelegenheit, mit Frau S. zu sprechen, einer 65-jährigen Frau im wohlverdienten Ruhestand. Gemeinsam mit ihrem Mann genießt sie die lang ersehnte Selbstbestimmung im Alltag. Doch hinter dieser entspannten Fassade verbirgt sich eine bemerkenswerte Lebensgeschichte. Frau S. lebt seit 30 Jahren mit der Herausforderung der Multiplen Sklerose.

Mit ihrer beruflichen Wurzel als Sozialarbeiterin begann Frau S. ihre Karriere im Bereich der ambulanten Behindertenhilfe. Nach zahlreichen Qualifizierungen fokussierte sie sich auf die Bereiche Stressbewältigung und Resilienz Entwicklung. In unserem Interview teilt Frau S. ihre persönlichen Erkenntnisse darüber, wie sie trotz der Herausforderungen von MS und den hektischen Anforderungen der Feiertage entspannt durch die Weihnachtszeit navigiert.
Ist das Thema Weihnachtsstress ein Thema, von dem Sie auch selbst betroffen und/oder welchem Sie in Ihrem beruflichen Alltag begegnet sind?

Als gebürtige Niedersachsin habe ich mich im Urlaub in einen Mann verliebt, der aus München kam. Wir haben uns dann auf halber Strecke im Wetteraukreis angesiedelt. Zu den hohen Feiertagen war und ist es eine Herausforderung, die Wünsche unserer Herkunftsfamilien zu erfüllen und gleichzeitig noch in Feiertagsstimmung zu kommen. Also ja, ich bin seit vielen Jahren aus eigener Erfahrung mit dem Thema befasst. Aber auch in den von mir begleiteten Organisationen fiel mir auf, wie sich die Arbeitsdichte vor den Feiertagen erhöhte. In Seminaren zur Stressbewältigung, die im Oktober/November stattfanden, gab es häufig den Wunsch Stressbewältigung zu Weihnachten als Thema aufzugreifen. Ehe ich diesen Text schrieb, habe ich mich mit einigen Freundinnen und Bekannten mit und ohne MS zum Thema Weihnachtsstress unterhalten. Einige Gedanken und Ideen sind in diesen Artikel eingeflossen. Vielen Dank für Eure Anregungen.

Warum glauben Sie, ist gerade die Weihnachtszeit eine von vielen besonders empfundene stressige Zeit?

Oft haben wir ein idealisiertes Bild vom Weihnachtsfest im Kopf. Genährt von „geschönten Kindheitserinnerungen“ und den Bildern in der Werbung wollen wir Glück und Harmonie für alle unsere Lieben erreichen. An die Vorweihnachtszeit und an das Weihnachtsfest selbst gibt es so viele Wünsche und Erwartungen.  

Denke ich an die Adventszeit, fallen mir spontan viele schöne und emotional wärmende Situationen ein. Der Duft von selbstgebackenen Plätzchen, die Freude beim Wichteln im Kollegenkreis, Weihnachtsfeiern, Weihnachtsmarktbesuche mit dem Freundeskreis u.v.a.m. In meinen Erinnerungen werden die Situationen immer liebenswerter und die Erwartungen an die nächste Adventszeit und an mich selbst ziemlich groß. Die Fülle von Möglichkeiten wird mir da leicht zur Falle, wenn meine Begeisterungsfähigkeit meine aktuellen körperlichen Ressourcen übersteigt.  

Glauben Sie, dass dieser Stress, der immer hektischeren und schnelllebigen Zeit geschuldet ist oder war das schon seit jeher ein Problem?

Meiner Beobachtung nach hat sich nicht so viel geändert. Für einige kommt der 24. Dezember jedes Jahr aufs Neue wieder völlig überraschend und sie geraten unter Druck, andere haben bereits im Oktober ihre Planungen für Geschenke und Festgestaltung abgeschlossen, und wieder andere gehen das ganze Festtagsthema mit großer Gelassenheit an.  Die Gemengelage von realer Termindichte und herausfordernder Beziehungsdynamik in Partnerschaften und Familien ist nichts Neues. Alle möchten an Weihnachten Liebe und Zugehörigkeit spüren und zum Ausdruck bringen.

Man hört des Öfteren, dass unter den MS-Betroffenen viele Perfektionisten sind. Sind diese Menschen darum besonders gefährdet, unter dem vorweihnachtlichen Stress zu leiden?

Menschen mit dem inneren Antreiber „sei perfekt“ stehen unter besonderem Druck. Alles soll möglichst perfekt werden: das Essen, die Dekoration, der Ablauf, …. Aber machen wir uns bewusst, in erster Linie geht es uns doch um die Geselligkeit und das Zusammengehörigkeitsgefühl, was wir uns an Weihnachten so ersehnen und nicht um ein 5-Sterne-Menü. Meiner persönlichen Erfahrung nach bleiben die Pannen um das Fest herum viel länger in liebevoller Erinnerung: „Weißt du noch, als wir die Eltern überraschen wollten und der Baum partout nicht in den Ständer wollte…., als wir etwas Besonderes anbieten wollten und Opa nur empört war, dass wir seinen Mettigel vergaßen. Diese gemeinsam erlebten „Minikrisen“ sorgen auch noch Jahre später für herzhafte Lacher und stärken die Familienbande.

Haben Sie Tipps, wie man diesem Stress generell am besten entgegenwirken kann?

An dieser Stelle möchte ich einen Strauß von Möglichkeiten vorstellen, die ich aus eigenen Erfahrungen oder in den Gesprächen mit Freundinnen mit und ohne MS Erkrankung gesammelt habe. Anregungen aus den Gesprächen stehen hier in kursiver Schrift.

Verabschieden Sie sich von unrealistischen Bildern und überhöhten Anforderungen!

Verabreden Sie den Geschenkerahmen.

„Bei uns bekommen nur noch die Kinder Geschenke. Wir Erwachsenen schenken uns nichts mehr.“

„Mit meinen Schwestern treffen ich mich außerhalb der Weihnachtszeit zum gemeinsamen Essen gehen. Jede ist mal mit dem Auswählen des Restaurants und dem Bezahlen dran.“

Überlegen Sie, was soll Weihnachten in meiner aktuellen Situation für mich und meine Lieben sein? Soll es wieder eine Rundreise mit Verwandtenbesuchen geben oder bleiben Sie lieber zu Hause und pflegen den Kontakt auf andere Weise oder zu einem anderen Zeitpunkt.

„Wir haben unsere Besuche reduziert und da die Entfernung zu Eltern groß ist, liegt unsere Hauptfamilienzeit im Frühjahr mit einem gemeinsamen Kurzurlaub.“

„Weihnachten feiern wir mit unseren jugendlichen Kindern zusammen zu Hause. Die Großeltern besuchen wir an einem Adventswochenende.“

„Das Besuchen ist mir inzwischen sehr beschwerlich geworden. Ich verabrede daher mit meinen Freundinnen und Cousinen eher Telefongespräche. Mit Tee oder Glühwein bei Kerzenlicht und leiser Weihnachtshintergrundmusik quatschen wir so manche Stunde.“

Reden Sie frühzeitig mit Ihrer Kernfamilie, welche Wünsche, Vorschläge und Ideen es in diesem Jahr für die Adventszeit und das Weihnachtsfest gibt. Planen Sie gemeinsam (mit Kindern dem Alter angemessen) die Adventszeit und die Feiertagsgestaltung. Berücksichtigen Sie dabei sowohl gemeinsame Zeit als auch Individualzeiten, gemeinsame Aktivitäten und ganz wichtig Ruhezeiten.

Bei der Auswahl des Festtagsessens ist zu großer Arbeitsaufwand ein k.o. Kriterium.

Verteilen Sie Aufgaben, Kochen Sie gemeinsam. Vor allem treten Sie nicht mit irgendwem in Konkurrenz um die beste Deko oder das beste Essen.

„Im Dezember gibt es viele Einladungen zu Weihnachtsfeiern. Meine aktuelle Kraftressource reicht aber nicht mehr für alle Kontakte, zumal einige Einladungen auch mit „Alle bringen etwas mit“ verknüpft sind. Ich habe mich schweren Herzens von einigen verabschieden müssen.“

„Im Freundeskreis haben wir die Entscheidung getroffen, unsere Weihnachtsfeier in eine „wir begrüßen das neue Jahr-Feier“ zu verändern. Wir treffen uns im Januar zum gemeinsamen Frühstück.“

„Weihnachtskekse sind für uns ein zentrales Element der Vorweihnachtszeit. Wir wollen nicht darauf verzichten. Jetzt backen wir unsere verschiedenen Kekssorten nicht mehr an einem Tag, sondern auf einen größeren Zeitraum verteilt. Da ich nicht mehr so lange stehen kann, backen wir jetzt gemeinsam. Mein Mann und ich besprechen die Rezepte, er sucht die Zutaten zusammen, ich knete den Teig und er bringt alles aufs Blech.“

„Ich mache diese Art des „betreuten Backens und Kochens“ mit meinen Kindern (12 und 14 Jahre alt). Ihnen ist vor allem wichtig, dass ich in der Nähe bin und sie mich jederzeit fragen oder hinzubitten können.“

„Wir halten im November eine Familienkonferenz ab, wo wir über unsere Wünsche und Möglichkeiten sprechen. Dann überlegt jeder für sich, was er zur Festgestaltung einbringen möchte, und Ende November werden diese Vorschläge dann zu einem Plan.“ Kinder 12 und 14 Jahre alt.

„Unsere Kinder bekommen von Mitschülern die oft aufwendige Speisefolge in Familien ihrer Mitschüler mit und fragen dann, warum wir das anders machen. Weihnachten ist bei uns eher eine gemütliche Sache, und wir schätzen vor allem das Zusammensein. Kulinarische Highlights müssen nicht gerade zum Weihnachtsfest sein, wo wir mit Plätzchen, Marzipankartoffeln u.ä. uns eigentlich schon satt an den Tisch setzen.“

„Wir haben jetzt die kleinen Kinder (11 Monate, 5 Jahre alt), so wird Heiligabend und am 1. Weihnachtstag bei uns gefeiert. Mit Großeltern und Tanten werden wir 10 Erwachsene sein.

Als Gastgeber stellen wir die Räumlichkeiten, Geschirr und Getränke bereit. Das Essen bringen die Gäste mit.“

„Wir sind eine große Familie, ich koche z.B. Rouladen schon im November und friere diese ein. Als Nachspeisen suche ich Rezepte, die ich gut vorher machen kann. Mein Favorit ist z.B. rote Grütze, frisch gekocht in Gläser füllen, auf den Kopf stellen. Das so entstehende Vakuum hält die Nachspeise mindesten 4 Wochen ungekühlt genießbar. Oder auch einige Desserts im Glas halten mit der gleichen Technik.“

Und gibt es Tipps, die besonders MS-Betroffene in dieser Zeit vermehrt beherzigen sollten?

Halten Sie Ihre persönliche Ressource fest im Blick. Das gilt zwar für alle, aber bei uns MS’lern rächt sich eine längere Überforderungsphase manchmal sehr heimtückisch. Sorgen Sie für sich, damit sie bei den wesentlichen Momenten der Advents- und Weihnachtszeit teilhaben können. Gehen Sie ausgeruht in die Feiertage. Unser großes Ziel lautet: sei Weihnachten fit und gelassen. Großer emotionaler Stress kostet uns oft noch mehr Kraft als kurze körperliche Herausforderungen und sollte möglichst minimiert werden.

Ich wünsche Ihnen alle eine schöne Adventszeit und gesegnetes Weihnachfest!

Unser nächster Blogbeitrag „Sportlich im Winter – Tipps für den bewegten winterlichen (Berufs-)Alltag“ erscheint am 14.12.23. Bis dahin eine entspannte und besinnliche Weihnachtszeit, eure Lisa 🙂