Ergonomie am Schreibtisch
Heute geht es um die Ergonomie am Schreibtisch, ein etwas trockeneres, aber nicht zu vernachlässigendes Thema. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen ist langfristiges Sitzen ohne Bewegung ungesund, und kann ein deutlich erhöhtes Risiko auf Herz-Kreislauferkrankungen mit einer gesteigerten Sterblichkeitsrate zur Folge haben.
Sitzunterbrechungen oder Bewegungen während des Sitzens können bereits viel ausgleichen. Letzteres gilt z.B. auch für Menschen im Rollstuhl, die nicht in der Lage sind, aufzustehen. Darauf gehe ich gleich näher ein. Zuerst einmal ist ein gut eingerichteter Arbeitsplatz das A und O für die Gesundheit, denn Fehlhaltungen während der Arbeit können langfristig zu einigen gesundheitlichen Problemen führen. Bei unbeeinträchtigten Menschen kann es z.B. zu Verspannungen, Schmerzen, Müdigkeit und Verdauungsproblemen kommen. Durch MS oder durch eine andere neurologische Erkrankungen kann langes, statisches und ungünstiges Sitzen zusätzlich eine erhöhte Spastik oder einen Dekubitus (Wunde durch Minderdurchblutung an dieser Stelle) verursachen.
Regelmäßige Sitzunterbrechungen sind enorm wichtig
Um dem entgegenzuwirken, sollte man sich alle halbe Stunde erheben und bewegen oder im Sitzen entlastende Übungen machen. Das können z.B. Streckübungen (Wirbelsäule), Schultergürtelkreisen, Beckenkippbewegungen und/oder leichte Dehnübungen (Rumpf, Beine, Nacken, Handgelenke, Finger…) sein. Im Internet finden sich dazu zahlreiche Beispiele in Text- oder Videoform z.B. auf den Seiten der Krankenkassen (oder ihr wartet bis zu meinem Beitrag nächste Woche 😉). Auch Übungen zur Entspannung der Augen sind sinnvoll. Dekubitus gefährdete Personen (die, die z.B. im Bereich des Gesäßes keine intakte Oberflächensensibilität haben) sollten unbedingt entlastende Übungen für das Gesäß machen (Gewichtsverlagerung zur Seite oder nach vorne/hinten) und möglicherweise auch ein entsprechendes Sitzkissen nutzen.
Nachfolgend möchte ich nun auf das richtige Sitzen und Stehen eingehen. Beim Sitzen oder Stehen sollten:
- Die Arme entspannt und horizontal zur Decke auf dem Tisch abgelegt werden können. Dabei dürfen die Schultern nicht nach oben gehebelt werden, also der Bereich zwischen Nacken und Schulterpartie bleibt muskulär entspannt.
- Die Armlehnen sollten auf gleicher Höhe wie der Tisch sein, um die horizontale Ausrichtung der Unterarme mit zu unterstützen.
- Der Bildschirm sollte sich bei nach vorne ausgerichtetem Kopf auf Augenhöhe befinden (oberste Zeile unterhalb Augenhöhe). Bei der Bestimmung des Abstands zwischen Augen und Bildschirm gibt es sehr unterschiedliche Aussagen (zwischen 45 und 79 cm). Die genaue Bestimmung hängt von verschiedenen Faktoren ab: Monitorauflösung, Bildschirmgröße und Bildformat. Studien aus dem Jahr 2010 und 2014 haben folgende Formel hervorgebracht: 3x Höhe des Monitors = idealer Abstand.
- Auch die Handgelenke sollten entspannt aufliegen, ohne abgeknickt zu sein. Es gibt spezielle Unterlagen für die Unterarme, um die Handgelenke in einer Neutralstellung zu halten.
- Kopf, Schulter- und Hüftgelenke (plus Fußknöchel, falls im Stand gearbeitet wird) bilden lotrecht eine Linie.
- Das Sitzmöbel sollte eine angenehme und ausreichende Rückenlehne bieten, die nicht zu stark nach hinten nachgibt.
- Mobile Sitzmöbel (z.B. Pezziball) sind als Sportgeräte zu betrachten und nicht für den dauerhaften Einsatz während der Arbeit gedacht. Diese können zwischenzeitlich verwendet werden, sollten aber danach wieder durch ein stabiles Sitzmöbel abgelöst werden. Alles andere ist auf Dauer zu anstrengend für die Muskulatur und birgt die Gefahr von ungesunden muskulären Kompensationen.
- Der Winkel zwischen Oberkörper und Oberschenkel sollte nicht weniger als 90 Grad betragen (betrifft Hüftgelenkswinkel).
- Ebenso der Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel (betrifft Kniegelenkswinkel).
- Die Füße sollten stabilen Bodenkontakt haben.
- Die Sitzfläche sollte ausreichend Fläche bis kurz vor die Kniekehlen bieten. Diese dürfen bei Bewegung nicht durch die Länge der Sitzfläche beeinträchtigt werden.
- Günstig ist, wenn der Stuhl feststellbare Rollen hat, oder zumindest nicht allzu schnell wegrollt.
- Weder im Sitzen noch im Stehen, sollte das Becken langfristig zu stark nach vorne (starkes Hohlkreuz), oder zu stark nach hinten („Buckel“) gekippt sein. Versuche das Becken in einer Neutralstellung zu halten.
- Die Knie sollten im Stehen nicht langfristig überstreckt (nach hinten voll durchgedrückt) werden, denn das belastet die Kniegelenke stark und verhindert, dass die knieumgebende Muskulatur arbeiten muss. Man „hängt“ in den Gelenken. Versuche die Knie „durchlässig“ zu halten.
- Das Stehen sollte nur so lange beibehalten werden, wie es ohne starke Anstrengung möglich ist.
- Bei stark beeinträchtigten Menschen empfehle ich, insofern Stehen und Gehen viel Kraft und Energie kostet, das Arbeiten im Stehen zu vermeiden oder nur kurzfristig in Form einer Übung zwischendurch zu stehen. Denn wenn durch das Stehen zu viel Energie verbraucht wird, fehlt diese für die eigentliche Tätigkeit.
Die Veränderung der Sitzneigung im Rollstuhl wirkt sich auf die Körperstatik aus
Die optimale Sitzposition im Rollstuhl verhält sich ähnlich wie die im Bürostuhl. Sobald jedoch die Sitzneigung (Sitzfläche im Verhältnis zur Rückenlehne) nach hinten (bei Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich aufrecht zu halten) oder nach vorne (Menschen mit starker Rückenmuskulatur und zur Unterstützung einer besseren Oberkörperaufrichtung) verändert ist, ändert sich die ganze Körperstatik.
- Auch im Rollstuhl sollte der Winkel im Hüft- und im Kniegelenk nicht kleiner als 90 Grad betragen.
- Die Füße sollten entweder plan auf dem Boden, auf den Fußstützen oder stabil auf einem Hocker stehen.
- Bei bereits eingeschränkten Fußgelenken z.B. durch eine starke Spastik der Wadenmuskultur kann es sein, dass die Fersen etwas höher stehen müssen als die Zehen. Auch bei starkem Klonus kann das manchmal erforderlich sein.
- Zwischen Kleiderschutz oder Armlehnen und Becken sollte rechts wie links maximal ein Finger passen (eher weniger).
- Bei herabhängenden Armen sollten sich die Hände auf Höhe der Radachse befinden (bei Rollifahrern, die den Rollstuhl selbst antreiben).
- Die Rollstuhlbremsen sollten während der Arbeit festgestellt sein.
- Die Knie sollten im Rollstuhl weder stark nach innen noch nach außen fallen. Ist dies der Fall (z.B. durch eine Spastik), empfehle ich dies durch z.B. eine Handtuchrolle oder kleine Kissen in die Neutralstellung zu korrigieren.
Wie zu Beginn bereits erwähnt, ist es wichtig, sich im Sitzen zu bewegen. Die oben beschriebenen Positionen sind Optimumpositionen, welche jedoch nicht stundenlang statisch beibehalten werden sollen (und können). Es sind die Ausgangsstellungen, in die immer wieder zurückgefunden werden sollte.
Ich wünsche Euch, dass ihr euch meine Empfehlungen zu Herzen nehmt, und gut auf euch Acht gebt (beruflich und privat). Bitte scheut euch nicht, mich anzuschreiben, wenn ihr weitere Fragen oder Anmerkungen zu diesem sehr komplexen Thema habt.