
In der Regel bewegen wir uns unachtsam, denn die meisten Bewegungsabläufe sind automatisierte Bewegungsprogramme, die wir unbewusst abrufen. Würde jede Bewegung unsere volle Aufmerksamkeit verlangen, kämen wir wahrscheinlich zu nichts anderem mehr. Erst wenn wir koordinativ anspruchsvolle Übungen oder unbekannte Bewegungen machen, müssen wir uns konzentrieren. Auch wenn wir Bewegung neu erlernen müssen (beispielsweise nach einem Schlaganfall), braucht es dafür unsere Aufmerksamkeit. Das ist vergleichbar mit der Situation von Babys und Kleinkindern, die erst lernen müssen, sich zu drehen, aufrecht zu halten, den ersten Schritt zu machen. Im Gegensatz zu Erwachsenen bringen diese meistens eine Engelsgeduld mit, wenn es um das zigfache Wiederholen von Bewegung geht. Scheitern sie und fallen hin, hält es sie nicht davon ab, es gleich noch einmal zu versuchen.

Menschen mit einer MS-Diagnose, die sich nicht mehr auf alle ihre Sinne verlassen können oder deren Körper durch Spastik oder Muskelschwäche beeinträchtigt ist, müssen sich unter Umständen ebenfalls konzentrierter bewegen, um Stürze vorzubeugen. Aber macht es Sinn, sich auf Bewegung zu konzentrieren, wenn es nicht nötig ist? Ja, das macht es. Denn es kann uns davon abhalten, zu viel zu denken. 😊 Wenn wir gestresst, erschöpft (Fatigue) oder depressiv sind, kann es durchaus Sinn machen, sich auf Bewegung oder allgemein auf den Moment zu konzentrieren, um sich dem Gedankenkreisel zu entziehen. Hierdurch bekommen Körper und Geist die Gelegenheit, sich zu erholen oder sich seelisch zu stabilisieren. Das Konzept der Achtsamkeit stammt aus der buddhistischen Lehre und es geht darum, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, und sich weniger von Gefühlen und Sorgen leiten zu lassen. Achtsamkeitstrainings sind im Trend und werden von unterschiedlichen Institutionen angeboten. Auch die Krankenkassen unterstützen solche Maßnahmen, denn sie sind nachgewiesen effektiv. Es gibt Studien, die diese Effektivität auch in Bezug zu MS (Depressionen, Fatigue, Stress) bekräftigt haben. Ebenso kann Achtsamkeitstraining auch im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements stattfinden. Arbeitgeber tun gut daran, solche Maßnahmen zu fördern, denn der Arbeitnehmer wird es ihnen durch konzentrierteres und entspannteres Arbeiten danken.
Das Gute am Achtsamkeitstraining ist, dass es LEICHT anzuwenden ist (das heißt nicht, dass es leicht umzusetzen ist 😊). Es braucht nichts an Material, man kann es in jeder Situation durchführen und es braucht keine extra Zeit, an Aufwand neben dem, was man sowieso schon tut.
Eine erste und häufig angewandte Übung ist das bewusste Atmen:
Bewusste Wahrnehmung der Atembewegung (Bauch, Flanken und/oder Brustbein). Das geht im Bett, im Bus, auf Toilette, …
Auch aus dem asiatischen Raum kommt die bewusste Tee-Zeremonie:
Dabei versucht ihr, euch vollkommen darauf zu konzentrieren, wie ihr dafür Wasser kocht, die Teegläser bereitstellt, das Teesieb mit dem Tee füllt, das gekochte Wasser über den Tee gießt, das Teesieb entfernt und am Ende mit allen Sinnen den Tee Schluck für Schluck trinkt.
Das ist selbstverständlich auch übertragbar für Kaffeetrinker. 😊
Und so könnt ihr im Alltag kreativ sein.


Bewusstes Aufstehen
Ihr könnt morgens nach dem Aufwachen aufmerksam die Augen öffnen, euch bewusst im Bett räkeln, achtsam aus dem Bett steigen, bewusst den Boden unter den Füßen spüren, während ihr ins Bad geht oder rollt…

Bewusste Haltung im Sitzen oder im Stehen
Ihr nehmt den Boden unter den Füßen wahr (insofern möglich), an welchen Stellen der Füße ihr mehr Druck empfindet, die Stellung der Knie, Hüften, Schultern, Lenden-, Brust-, und Halswirbelsäule, Arme… Und wenn ihr feststellt, dass ihr euch gerade eher ungünstig haltet, könnt auf diesen positiven Einfluss nehmen: die Wirbelsäule strecken, das Brustbein nach vorne oben schieben oder den Rücken mal bewusst runden, um einer Hohlkreuzhaltung entgegenzuwirken und um die Muskulatur im Lendenbereich zu entspannen.
Bewusstes Gehen/Geh-Meditation
Ihr nehmt bewusst wahr, wir ihr den Fuß vorne aufsetzt, die Fußsohle abrollt, wie sich die Ferse langsam vom Boden löst, das Bein im Anschluss nach vorne schwingt… Genauso könnt ihr auch den Fokus auf den Rumpf oder die Arme während des Gehens legen oder die Schrittlänge, Spurbreite, Schnelligkeit während des Gehens checken.
Je achtsamer man wird, desto mehr nimmt man auf einmal (körperlich) wahr. Das kann auch förderlich sein, wenn man dazu neigt, sich regelmäßig zu überlasten. Mithilfe von Achtsamkeit lernt man nach und nach, seinen Körper besser kennen, seine Signale einfacher zu deuten und sich von seinen Gefühlen und Gedanken weniger leiten zu lassen. Es kann sein, dass ihr Mithilfe von achtsamem Bewegen, die Ursache für Beschwerden oder Erschöpfung herausfinden könnt (z.B. durch eine Fehlhaltung).
Ich wünsche Euch viel Freude beim achtsamen Bewegen.