Neben einer medikamentösen (falls notwendig) Behandlung und einem aktiven Lebensstil ist die Physiotherapie bei vielen MS-Betroffenen eine sinnvolle Ergänzung, um im Alltag besser zurecht zu kommen. Die Physiotherapie setzt sich zusammen aus der Krankengymnastik und der physikalischen Therapie, bei der mechanische (Massage) oder thermische Reize (Wärme- oder Kälteapplikationen) zum Einsatz kommen, auch in Form von Wasser (Hydrotherapie). Die Physiotherapie zielt in der MS-Therapie vor allem darauf ab, die Körperhaltung und Bewegungsabläufe zu verbessern sowie die Mobilität zu fördern. Vielfach stehen alltagsnahe Abläufe wie sicheres und stabiles Sitzen oder Stehen, aufstehen, hinsetzen, (Treppe) gehen, Transfers aus dem Rollstuhl ins Bett oder auf die Toilette auf dem Behandlungsplan. MS-Betroffene haben als chronisch Erkrankte seit 2017 ein Anrecht auf ein Dauerrezept, ohne dass dies das Budget des verordneten Arztes belastet. Empfehlenswert ist eine Verordnung auf neurophysiologischer Basis (Bobath, PNF oder Vojta*), es sei denn, es liegt akut ein orthopädisches, traumatisches oder chirurgisches Problem vor.
* Alle drei Konzepte sollen dabei helfen, Alltagssituationen besser zu bewältigen, indem sie physiologische (=„normale“ bzw. harmonische und energieeffiziente) Bewegungsmuster fördern und Kompensationsmechanismen abbauen. Alle drei Konzepte dürfen NUR durch dafür zertifizierte TherapeutInnen durchgeführt werden!!!
- Bobath-Konzept: hierbei findet die Therapie direkt innerhalb der Alltagssituation statt.
- PNF-Konzept (PNF= Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation): bei dieser soll das dreidimensionales Zusammenspiel zwischen Muskeln, Nerven & Rezeptoren verbessert werden. Die Ausgangsstellung kann innerhalb der Alltagsposition erfolgen, aber auch liegend, sitzend… auf der Behandlungsliege.
- Vojta-Therapie:(=„Reflexkriechen“): Bei dieser Behandlungsmethode werden manuelle Reize an Reizpunkten in verschiedenen Grundpositionen (Bauch-, Rücken- oder Seitlage) gesetzt.
Die Physiotherapie kann dabei helfen,
- dass Körperbewusstsein zu verbessern,
- die Körperwahrnehmung zu fördern,
- Bewegungen zu erleichtern,
- Bewegungen möglich zu machen,
- Bewegungsabläufe zu optimieren,
- Muskelspannungen herabzusetzen,
- Wasseransammlungen abzuleiten,
- Spastiken zu reduzieren,
- die Atmung zu erleichtern,
- Kompensationen abzubauen,
- falls notwendig, Bewegungsübergänge kompensatorisch anzuleiten,
- Schmerzen zu lindern
und noch vieles mehr.
Es ist empfehlenswert, nach einem Physiotherapeuten oder einer Physiotherapeutin Ausschau zu halten, die sich auf dem Gebiet der MS auskennt. Da jedoch ein großer Therapeutenmangel herrscht, ist dies ein schwieriges Unterfangen und zurzeit kann sich jede(r) glücklich schätzen, wenn er/sie überhaupt einen Physiotherapietermin bekommt. Aber auch MS-Unerfahrene können ebenso gute TherapeutInnen sein. Oft ist es ein gegenseitiges Lernen (auch bei Erfahrenen Therapeuten; man lernt im Prinzip nie aus). Der Therapeut/die Therapeutin lernt von dem Patienten/der Patientin und umgekehrt.
Eine Physiotherapieeinheit kann mithilfe von zahlreichen therapeutischen Handgriffen und/oder mit den unterschiedlichsten Materialien
- Theraband
- Pezziball
- Matte
- Ball
- Stab
- Massagegerät
- Alltagsgegenstand
- Hilfsmittel
- Trainingsgerät
- Airexmatte
- Schaukelbrett
- Stufe
- Knete
und weitere begleitet werden.
Außerdem ist die Bandbreite der Ausgangsstellungen, in den gearbeitet werden kann, groß:
-Rückenlage
-Bauchlage
-Seitlage
-Sitz (frei oder anlehnend)
-Stand (frei oder festhaltend; auf einem oder zwei Beinen…)
-Vierfüßlerstand
-Kniestand
-im Überhang
-im Schlingentisch aufgehangen
…
Aus meiner Sicht ist es von Bedeutung, dass innerhalb der Physiotherapie nicht ausschließlich passive Maßnahmen durch die Therapeuten (z.B. passives Durchbewegen oder Massage) angewendet werden. Das ist zwar für die PatientInnen angenehm, aber nicht nachhaltig. Auch hier gilt das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. TherapeutInnen sollten Coaches sein, die ihre PatientInnen gut anleiten können, damit diese die Tipps und Tricks im Alltag selbst und über die Therapie hinaus regelmäßig ausführen können. Lediglich schwer Betroffene sind unter Umständen auf rein passive Maßnahmen angewiesen. Auch können passive Maßnahmen unterstützend oder vorbereitend in der Therapie eingesetzt werden (z.B. eine Vorbehandlung vom Fuß, um im Anschluss in der Gangschule besser gehen zu können). Bei Spastiken können lang angehaltene (z.B. Bauchlage auf einer harten Unterlage bei Bauchspastiken oder Schneidersitz bei Spastiken in dem Bereich der Oberschenkelinnenseite) und selbst (oder mit etwas Hilfe) eingenommene Positionen oft besser und nachhaltiger wirken als reines Durchbewegen oder passives Dehnen.
Die Physiotherapie kann präventiv (den Fortschritt der Erkrankung vorbeugen, aufhalten oder verlangsamen) oder kurativ (bereits bestehende Symptome behandeln) zum Einsatz kommen.
Was sind eure Erfahrungen mit der Physiotherapie? Haltet ihr sie für sinnvoll oder nicht? Wir freuen uns über Rückmeldungen!