Komfortzone? Was soll das sein? In diesem Fall ist unter Komfortzone der persönliche Alltag mit seiner üblichen Tagesstruktur gemeint. Die meisten von uns haben – zumindest während der Woche – einen immer wieder ähnlichen aufgebauten Tagesrhythmus. Unsere innere Uhr oder der Wecker wecken uns zu bestimmten Zeiten, wir gehen ins Bad, frühstücken, fahren zu arbeiten… so oder so ähnlich sieht es bei vielen von uns aus. Gegen einen geregelten Rhythmus spricht auch erst einmal rein gar nichts. Im Gegenteil. Auch die Natur kennzeichnet sich durch Rhythmen: der Tag-Nacht-Rhythmus, der Mondzyklus, der Jahreszyklus, die Jahreszeiten… Manche von uns lieben diese festen und zuverlässigen Rhythmen und Strukturen. Wir können uns auf sie verlassen und geben uns Sicherheit. Sogar ohne dass wir etwas tun, funktionieren sie. Und auch wir funktionieren in unserer Tagestruktur meistens recht gut. Es ist ein Automatismus, über den wir im Prinzip nicht (mehr) nachdenken. Deswegen kann es auch Komfort sein: es ist bequem. Wir müssen keine Entscheidungen fällen, wir müssen uns nicht dem Unbekannten stellen, die Gefahr zu scheitern ist gering. Und auch unser Körper mag in vielerlei Hinsicht diese festen Rhythmen: wenn wir regelmäßig ausreichend schlafen, wenn wir regelmäßige Mahlzeiten zu uns nehmen, wenn wir durch die Regelmäßigkeit entspannt sind… auch regelmäßige Bewegung ist wunderbar. Allerdings stellt Bewegung, die sich immer wieder wiederholt, keine Herausforderung an unseren Körper dar. Dadurch bleibt alles wie es ist: Wir erhalten den Zustand. Das ist schon mal nicht schlecht! Aber wollen wir uns oder unseren Körper – und auch den Geist – fördern, sollten wir ihnen Überraschungen bieten. Überraschungen in Form von Veränderung. Das kann hinsichtlich gewohnter sportlicher Aktivitäten die Anpassung der Dosierung sein: wir können die Dauer des Trainings sowie die Intensität verändern.
Gut ist auch, wenn die Inhalte variieren. Anhand des Beispiels beim Joggen oder Handbike-Fahren meine ich z.B.:
- wir laufen/fahren jedes Mal ein bisschen weiter,
- wir laufen/fahren mit einer höheren Geschwindigkeit,
- wir ändern die Strecke/Umgebung,
- wir laufen oder fahren mit unterschiedlichen BegleiterInnen,
- wir laufen/fahren mit verschiedenen Tempi (Intervalltraining),
- wir wählen unterschiedliche Untergründe (falls mit dem Rollstuhl möglich),
- wir bauen Kraft- Koordinations- oder Gleichgewichtsübungen mit ein,
- wir machen während des Laufens/Fahrens Gehirnjogging, indem wir beispielsweise von 99 in Dreierschritten rückwärts zählen…
Darüber hinaus ist es aber auch empfehlenswert komplett über den Tellerrand zu schauen (die Komfortzone zu verlassen) und immer mal wieder etwas ganz Neues auszuprobieren. Neue Sport- oder Bewegungsangebote schulen euch in vielerlei Hinsicht: euer Geist und euer Körper werden gefordert, indem sie neue Bewegungsabläufe lernen müssen. Ihr begegnet möglicherweise neuen Leuten, durch die ihr frischen Input bekommt. Durch die Umstellung wachst ihr an Erfahrungen und dies kann euer Selbstwertgefühl steigern. Die Flexibilität, die ihr dafür aufbringen müsst, kann euch auch in anderen Bereichen weiterbringen.
Durch die Diagnose MS werden Betroffene unfreiwillig gezwungen, ihre Komfortzone zu verlassen. Das Gewohnte fällt weg, denn der Körper fühlt sich plötzlich fremd an und funktioniert nicht mehr zuverlässig. Selbst selbstverständliche Alltagsaktivitäten wie auf Toilette gehen, können gestört sein. Und auch der Geist bleibt nicht unbedingt verschont. MS-Betroffene müssen – egal ob durch einen Schub oder der chronisch-progredienten Form – immer davor gefasst sein, dass durch körperliche und/oder geistige Veränderungen Flexibilität gefragt ist. Das kann eine Riesen-Herausforderung sein.
Heutzutage hört man auch häufig das Wort Resilienz. Resilienz wird als Anpassungsfähigkeit übersetzt und ist nichts anderes als eine Flexibilitäts-Kompetenz. Resiliente Menschen scheitern weniger schnell an Krisen in ihrem Leben. Um also seine Flexibilität zu trainieren, ist es förderlich im Alltag von Zeit zu Zeit aus der bekannten Struktur auszubrechen und etwas Neues auszuprobieren. Wenn wir das im Bereich Sport tun, sind die Nebenwirkungen gering. Wir haben wenig zu verlieren. Selbst negative Erfahrungen bringen uns weiter. Manchmal sind diese sogar die weitaus hilfreicheren.
Welche Sportarten könnten interessant sein und sind auch für stärker Beeinträchtigte (im Rollstuhl) geeignet?
- Tischtennis
- Funktionstraining
- Fahrradfahr-Treffs (dann auch in Form von Liege- oder Dreirädern sowie Handbikes)
- Boccia
- Bogenschießen
- Kanu
- Curling
- Tanzen
- Badminton
- Fechten
- Basketball
- Segeln
- …
Hierbei können die Gruppen ausschließlich für MS-Betroffene (Funktionstraining) sein, für Betroffene mit neurologischen Erkrankungen, für Menschen im Rollstuhl sitzend oder es kann sich um inklusive Gruppe handeln.
Im Rahmen unseres nächsten Fachtag MS am 09.11.24 (Aktion ist in Planung) habt ihr die Gelegenheit in zwei inklusive Sportarten reinzuschnuppern. Lasst euch die Gelegenheit nicht entgehen!
Und soll es absolut nicht der Sport sein (wobei ich das sehr bedauere), besteht auch die Möglichkeit sich in anderen Bereichen immer wieder auf das Neue zu fordern:
- -im musischen Bereich (z.B. ein neues Instrument lernen oder einen Chor besuchen)
- -im handwerklichen Bereich (z.B. kleine Reparaturarbeiten mithilfe eines Youtube-Videos)
- -im kreativen Bereich (im Internet gibt es z.B. eine unerschöpfliche Bandbreite an Upcyclings-Ideen, denen man nacheifern kann)
- -im spielerischen Bereich (egal ob Brettspiele, virtuelle Spiele oder Rollenspiele).
Ich wünsche Euch viel Vergnügen beim Verlassen der Komfortzone. Ihr habt nichts zu verlieren, probiert es aus!