Heute stellen wir euch einen Gastbeitrag von einem Mitglied vor, welcher euch Mut machen soll, trotz Einschränkungen Sport zu treiben. In diesem Text finden sich möglicherweise einige von euch wieder. Ich denke, dass es durchaus hilfreich sein kann, Erlebnisse von anderen Betroffen zu teilen, um immer wieder aufzuzeigen, dass ihr nicht allein mit euren Ängsten, Sorgen, Nöten und negativen aber durchaus auch positiven Erfahrungen dasteht.
I have a dream
Gastbeitrag von Martin Honcu
Mit den Träumen ist das so eine Sache
Träume, Wünsche und Ziele – wer hat sie nicht? Mein Traum war es, mit 40 meinen ersten Marathon zu laufen. Warum? Ich wollte mir selbst etwas beweisen und auch körperlich fitter werden. Dabei stand das Gewinnen nie im Vordergrund. Bei jedem Lauf waren mir drei Dinge wichtig:
1. Im Ziel anzukommen
2. nicht als letzter die Ziellinie zu überqueren und
3. meine persönliche Zeit mit jedem Lauf zu verbessern.
Damit ich mir diesen Traum erfüllen konnte, hatte ich ein Jahr vorher mit dem Training begonnen und kleinere Läufe mitgemacht, wie etwa den Friedensmarathon in Augsburg im Jahr 2012 (allerdings nur die 10 km-Strecke).
Doch dann passierte etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ich war mit einer Bekannten im Dezember 2012 in Augsburg auf dem Christkindlmarkt – und plötzlich, aus heiterem Himmel, konnte ich nicht mehr richtig stehen und laufen. Ich dachte zunächst an ein Burn-Out, da ich als Installations- und Heizungsbaumeister und Geschäftsführer in einem kleinen neugegründeten Handwerksunternehmen zu dieser Zeit sehr viel zu tun hatte. Über die Weihnachtsfeiertage konnte ich mich zwar etwas erholen, richtig gut wurde es aber nicht mehr.
Meine Hausärztin konnte erst einmal nichts feststellen, auch meine Blutwerte waren in Ordnung. Sie überwies mich an einen Neurologen; das kennt ihr selbst – dort einen Termin zu bekommen, ist nicht leicht. Auch der Neurologe fand beim ersten Besuch nichts, überwies mich aber weiter zum MRT beim Radiologen. Dort wurden Auffälligkeiten festgestellt, aber man wusste immer noch nicht genaues. Ein stationärer Aufenthalt in einer neurologischen Klinik brachte schließlich Klarheit, die Diagnose, die ich einen Tag vor meinem 40. Geburtstag bekam: Ich hatte Multiple Sklerose. Ich muss euch nicht sagen, was das für ein „toller“ Geburtstag im Krankenhaus war.
Die Diagnose veränderte mein Leben
Danach dachte ich erst einmal nicht mehr an Sport, denn die Diagnose veränderte schlagartig mein Leben. Eine Welt brach für mich zusammen, als mir die Berufsgenossenschaft ein Beschäftigungsverbot erteilte. Dann, ein Jahr später, besuchte ich für zwei Jahre eine Technikerschule und konnte so auf meine vorherigen beruflichen Kenntnisse aufbauen. Neue Perspektiven ergaben sich.
Die Krankheit schritt unbeirrt weiter fort, und so lief ich zunächst z. B. mit Nordic-Walking-Stöcken. In einer Reha drückten sie mir dann einen Rollator in die Hand. Schwierig, denn ich fühlte mich ja nicht alt – ich muss aber sagen, dass ich damit besser laufen konnte als mit meinen Stöcken. Trotzdem wurden längere Strecken zunehmend problematischer, und so bekam ich im Jahr 2016 den ersten Rollstuhl.
In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, dass regelmäßiger Sport die Gesundheit verbessert und das seelische Wohlbefinden stärkt. Entsprechend hat sich auch das Meinungsbild von Ärzt*innen und Sportwissenschaftler*innen zum Thema Sport bei MS geändert. Vor einem Jahrzehnt war Sport zwar auch schon wichtig, Betroffene sollten ihn aber nur bis knapp unter ihre Belastungsgrenze betreiben. Heute ist man sich einig, dass man die persönliche Belastungsgrenze durchaus erreichen oder sogar kurzfristig überschreiten darf, denn die Erholung des Körpers erfolgt doch relativ schnell.
2023, 10 Jahre später, sind meine Träume, Wünsche und Ziele kleiner geworden. Für mich persönlich habe ich einen Leitsatz: Aufgeben ist keine Option. Von daher habe ich mich entschlossen bei GG-läuft im Deutschen Roten Team mitzumachen. Neben wir starten im Team weitere 46 Personen, die Besonderheit bei mir ist, dass das mein 1. Lauf ist, den ich im Rollstuhl absolvieren werde.
Als erste Person im Rollstuhl hat Martin Honcu im Juli 2023 erfolgreich die Lizenzausbildung zum Übungsleiter C Erwachsene/Ältere beim Landessportbund Hessen e.V. (lsb h) abgeschlossen. Den Beitrag dazu findet ihr auf der Seite des Landessportbundes Hessen e.V.: www.landessportbund-hessen.de